Intern
  • Foto von Studierenden im Lichthof
  • Fahne der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät

The Worth of Cities in Germany von Katja Gehr und Michael Pflüger

02.04.2024

Städte gelten als Keimzellen der wirtschaftlichen Entwicklung und des Wachstums. Im Lichte der weltweit voranschreitenden Urbanisierung hat der Harvard-Ökonom Edward Glaeser noch vor wenigen Jahren in seinem Beststeller „Triumph Of The City“ Städte als „die größte Erfindung der Menschheit“ besungen und argumentiert, sie machten uns „reicher, smarter, grüner, gesünder und glücklicher.“

Prof. Dr. Michael Pflüger, Katja Gehr
Prof. Dr. Michael Pflüger, Katja Gehr (Bild: Uni Würzburg )

Städte gelten als Keimzellen der wirtschaftlichen Entwicklung und des Wachstums. Im Lichte der weltweit voranschreitenden Urbanisierung hat der Harvard-Ökonom Edward Glaeser noch vor wenigen Jahren in seinem Beststeller „Triumph Of The City“ Städte als „die größte Erfindung der Menschheit“ besungen und argumentiert, sie machten uns „reicher, smarter, grüner, gesünder und glücklicher.“ Dieses positive Bild hat in den letzten Jahren markante Risse bekommen. Hohe und steigende Mieten machen das Leben in attraktiven Städten kaum erschwinglich, und dies umso mehr für alle jene, die auf dem Wohnungsmarkt nicht bereits fündig geworden sind, denen aber aus beruflichen oder anderen Gründen ein Umzug bevorsteht. In der aktuellen stadtökonomischen Forschung werden die Hintergründe dieser Entwicklungen erforscht.

In den Erklärungsmittelpunkt wird als Ursache des fehlenden Wohnraums und dieser Mietpreisexplosion das lokale Angebot an Immobilien und Bauland gestellt, welches gerade in attraktiven Städten häufig künstlich knappgehalten wird, so etwa durch administrative Gebühren und Hürden, Zonierung oder Bebauungsvorschriften. Nutznießer dieser Regulierungen sind die bereits ansässigen „Stadtinsider“, die die genannten NIMBY-Praktiken („not in my backyard“) vermittels ihres Einflusses auf die lokale Politik durchsetzen.

Die Studie von Katja Gehr und Michael Pflüger nimmt deutsche Städte und das deutsche Stadtsystem aus diesem Blickwinkel unter die Lupe. Um den deutschen Gegebenheiten gerecht zu werden, erweitern sie zunächst ein innovatives, für die Vereinigten Staaten entwickeltes Stadtsystemmodell um Konsumannehmlichkeiten und andere Faktoren. Während in den USA die größten Städte auch die produktivsten Orte sind, in denen die höchsten Löhne gezahlt werden, gilt dies nicht für Deutschland, wo beispielsweise in der größten Stadt, Berlin, im Städtevergleich nur unterdurchschnittliche Löhne bezahlt werden. Die Größe von Berlin kann aber durch Konsumannehmlichkeiten rationalisiert werden („Berlin ist nicht reich, aber sexy“, wie es ein ehemaliger Oberbürgermeister einmal formuliert hat). Das theoretische Modell wird mit großen Datensätzen gefüttert – insbesondere mit Arbeitsmarktdaten des IAB, Mietpreisdaten des RWI, Verkehrsdaten des BMDV, und CORINE Land Cover-Daten, um die positiven und negativen Effekte der städtischen Agglomeration zu schätzen. Gehr und Pflüger finden, dass eine Verdoppelung der Zahl der Stadtbewohner einer deutschen Stadt die Löhne um 1,8% in der kurzen Frist und um 4,9% in der mittleren Frist (in welcher Lerneffekte in Rechnung gestellt werden) erhöht. Zugleich finden sie, dass durch eine solche Verdoppelung der Stadtgröße die urbanen Kosten (Mieten und Pendelkosten) um 7,1% und die Staukosten um 6,8% ansteigen.

Die Implementierung dieser quantitativen Befunde und die Berücksichtigung der zwischen den Städten gezahlten Fiskaltransfers liefert ein Ranking der deutschen Städte gemäß ihrer Attraktivität, welches von Erlangen und München angeführt wird. Um zu prüfen, ob diese Modellierung mehr ist als eine rein akademische Übung, wird das Modell mit unabhängigen Fakten konfrontiert. Die nachfolgenden Graphiken (und weitere Befunde) zeigen, dass das quantifizierte Modell diese Prüfung überzeugend besteht. Die linke Graphik macht ersichtlich, dass die aus dem quantifizierten Modell abgeleiteten „Konsumannehmlichkeiten“ stark mit empirisch ermittelten Konsumannehmlichkeiten (Zahl der Übernachtungen, Kriminalitätsrate, Waldfläche, Wasserfläche, Sonnenscheindauer) korrelieren. Die rechte Graphik zeigt wiederum, dass die im quantitativen Modell ermittelten Maßzahlen für die Attraktivität der Städte (Realeinkommen) sehr hoch mit den Realeinkommen korrelieren, die sich ergeben, wenn man die Löhne mit Preisindices deflationiert, die auf Mikropreisdaten der Statistischen Landesämter zurückgreifen.

Graphik: Konfrontation des quantifizierten Modells mit unabhängiger Evidenz

Ein Bild, das Screenshot, Diagramm enthält. Automatisch generierte Beschreibung

Ein Bild, das Text, Screenshot, Reihe, Diagramm enthält. Automatisch generierte Beschreibung

Das dergestalt quantifizierte und überprüfte Modell wird dann dazu benutzt, kontrafaktische Politikszenarien zu studieren. Im Mittelpunkt steht hierbei der Abbau von NIMBY-Regulierungen in den Städten, die in Deutschland in der Öffentlichkeit und den Medien häufig im Mittelpunkt des Interesses stehen, die TOP 7 Städte Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf. Der von Gehr und Pflüger betrachtete Abbau führt zu einer Erhöhung der Stadtbevölkerung in allen diesen Städten um 10%. Das Modell liefert dann das Ergebnis, dass sich die Realeinkommen in den deutschen Städten im Durchschnitt um 1,11% erhöhen, und dass hierbei die Stadtinsider nur marginal verlieren, während die große Zahl der anderen Personen starke Realeinkommensgewinne erzielt. Als Quintessenz ergibt sich also, dass die NIMBY-Praktiken mit hohen gesellschaftlichen Kosten verbunden sind.

  Die Studie wurde bereits 2023 von den Autoren auf nationalen und internationalen Konferenzen, so bei der UEA (Urban Economics Association) in Toronto, beim Jahreskongress des Vereins für Socialpolitik in Regensburg, und in zahlreichen deutschen Workshops und Universitäten, vorgetragen. Für das Jahr 2024 stehen bereits weitere Präsentation an, so unter anderem auf dem CRED-Workshop in Bern, beim Wharton Real Estate Department (Wharton Business School, University of Pennsylvania) und bei der Federal Reserve Bank of Chicago.

Die Studie ist in einer ersten Fassung als Discussion-Paper 16127 des IZA (Institute of Labor Economics) erschienen und inzwischen in überarbeiteter und erweiterter Form abrufbar.

Zurück